Bamberg
19. Nov 2021 — 28. Feb 2022
The Inversion of Memory – und die künstlerische Umdeutung der Carpets of the Forgotten wirkt wie ein Spiegelbild der Informationsgesellschaft, in der es nicht gelingt, Transparenz herzustellen, um sich in der verwirrenden Vielfalt der Inhalte für das Eine, das Andere oder gar das Ganze entscheiden zu können.
Ab 19. November 2021 zeigt AOA;87 eine Auswahl an Teppicharbeiten und Leinwänden aus den zwei jüngsten Werkreihen des Künstlers Holger Schmidhuber mit den Titeln CARPETS OF THE FORGOTTEN und THE INVERSION OF MEMORY. Der Kunsthistoriker Sascha Winter weist auf das zentrale Thema Erinnerung hin, das schon in den Titeln der Zyklen anklingt. Beide Werkreihen haben darüber hinaus weitere Aspekte gemein. Genau daran knüpft AOA;87 mit der Ausstellung The Inversion of Memory in Bamberg an. Das Nebeneinander in der Exposition soll zum einen die künstlerische Entwicklung, zum anderen den Aspekt der »Erinnerungsstücke« (Schmidhuber) in unterschiedlichen Richtungen sichtbar machen. Für den Künstler selbst befinden sich die beiden Zyklen in einem Wachstumsprozess, der immer wieder neue Werke hervorbringt.
Ein sinnbildliches Beispiel für das Bestreben des Künstlers, Erinnerungsfragmente zu visualisieren, stellt das Werk FAITH – DIFFERENT DIRECTIONS dar. Die Machart regt den Betrachter an, Denkrichtungen zu reflektieren und neue Perspektiven einzunehmen. Für diese Zwecke bedient sich Holger Schmidhuber konventioneller bildkünstlerischer Mittel, aber auch innovativer fachübergreifender Methoden. Farben, Formen sowie Wörter und kurze Sentenzen fungieren als bildgestalterische Komponenten und als »Erinnerungsträger«. Im Wechselspiel zwischen Willkür und Kalkül werden Farben, Formen, Wörter jedes Mal neu kombiniert und gewichtet, sodass die »Erinnerungsträger« in der Komposition mal isoliert auftreten, sich ein andermal durchdringen, ergänzen oder gleichwertig nebeneinander stehen können. Dabei lässt sich zusammenfassend feststellen, dass die Farbe fast immer eine dominierende Rolle spielt.
Schmidhuber stellt die Farben selbst her, ohne die genaue Rezeptur preiszugegeben. Deren Zusammensetzung ist entscheidend für die physische und semantische Verbindung der einzelnen »Erinnerungsträger«. Die Bedeutung der Farbe reicht in Schmidhubers Werken weit über die bloße Notwendigkeit einer gelungenen technischen Ausführung hinaus. Sie ist gleichsam die erste Instanz für »Erinnerungsfragmente«. Wie tief diese Erinnerungen entwicklungsgeschichtlich gehen können, ist durch wissenschaftliche Studien beleg. Bereits im embryonalen Zustand unterscheidet der Mensch Farben und verknüpft diese mit Gefühlen.
Nicht nur die Pigmentmischung unterliegt der Vision des Künstlers, sondern auch die Art des Farbauftrags. Es findet eine Farbexplosion statt, die aus Zerstückelung und gleichzeitiger Zusammensetzung zu bestehen scheint. Einerseits erreicht Schmidhuber mit Pinsel und Rakel eine enorme Expressivität, andererseits erahnt der Betrachter strenges Kalkül angesichts der überscharfen Form der »Erinnerungsfragmente«. Bei der Berechnung und Umwandlung in computergenerierte Grafiken lässt sich der Künstler von Künstlicher Intelligenz helfen. Beim Zyklus The Inversion of Memory druckt er diese Grafiken sodann auf die Leinwände. Die Farbe kann in Schmidhubers Kunstwerken als bildgestalterische Komponente nicht losgelöst funktionieren. Überlagerungen sind entscheidende Bestandteile der Werke.
In der Bamberger Ausstellung werden auch in Reflexion auf den Bildträger wesentliche Unterschiede erkennbar. Für die erste Werkreihe verwendete der Künstler handgeknüpfte Webteppiche. In dem jüngeren Zyklus bedruckt er Leinwände mit der Ornamentik des Teppichs und überarbeitet diese – teilweise bis vollständig. Die Gegenüberstellung von Teppich und Leinwand ermöglicht es, die unterschiedlichen, teils gegenläufigen Prozesse spürbar zu vernehmen. Es gilt auch hier: Obwohl der Künstler über die ordnende Kraft verfügt, wird die Vervollständigung des Kunstwerks der Prägung und Interpretation des Betrachters überlassen.
Anders verhält es sich mit den Werken auf Leinwänden aus dem jüngeren Zyklus. Während bei den Teppichen die einstige Funktion immer noch in den Vordergrund drängt, erscheinen die ›Erinnerungsfragmente‹ auf den Leinwänden verfremdet, kaum noch wahrnehmbar. Aufgemalte bzw. aufgedruckte Teppichfragmente werden von zahlreichen Farbschichten oder von anderen Erinnerungsträgern überlagert, bis zur nahezu vollständigen Kaschierung.
Erkennt der Betrachter dennoch Teppich-Fragmente, dann sind diese in ein dichtes, undurchdringliches Geflecht aus Erinnerungen gebettet. Der Betrachter muss seine Erinnerungen an haptische und inhaltliche Erfahrungen mit Teppichen ausgraben, rekonstruieren und in die Interpretation der vorliegenden Komposition einbeziehen. Es kommt zu einer kaum durchschaubaren Inversion der »Erinnerungsträger«. Bildträger- und Bildgestaltungskomponenten spielen ein erinnerungsreiches, ja explosionsfähiges Konzert im Kopf des Betrachters. Reminiszenzen an Jackson Pollock und Gerhard Richter lassen sich erkennen.